Neues DFG-Projekt bewilligt zum Thema „Terminologische Innovationen im Bereich internationale Beziehungen: Entstehung und Diffusion“

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hat ein interdisziplinäres Forschungsprojekt zu politischen und politikwissenschaftlichen Diskursen im Bereich internationale Beziehungen bewilligt.

24.04.2023 von

Projektleiter sind Prof. Dr. Marcus Müller am Institut für Sprach- und Literaturwissenschaft sowie Prof. Dr. Jens Steffek am Institut für Politikwissenschaft. Im Projekt soll mit Hilfe korpuslinguistischer Methoden erforscht werden, auf welchen Wegen und in welchem Ausmaß terminologische Innovationen vom wissenschaftlichen Fachdiskurs in die politische Alltagssprache eingehen. Das Projekt wird im Herbst 2023 seine Arbeit aufnehmen und ist auf drei Jahre angelegt.

Beschreibung des Projekts

Das Reden und Schreiben über internationale Beziehungen ist geprägt von abstrakten, oft metaphorischen Begriffen wie „internationales System”, „Gleichgewicht der Mächte” oder „internationale Anarchie”. Viele dieser Begriffe wurden in einem fachsprachlichen Diskurs entwickelt oder dort mit einer neuen, vom alltäglichen Sprachgebrauch abweichenden Bedeutung versehen. Zu den einflussreichsten begrifflichen Innovationen mit eindeutig akademischer Vorprägung gehören „Global Governance”, „Human Development” und „Human Security”. In diesem Projekt wollen wir systematisch erforschen, auf welchen Wegen und in welchem Ausmaß terminologische Innovationen vom wissenschaftlichen Fachdiskurs in die politische Alltagssprache eingehen und dort von politischen Akteur*innen aufgegriffen werden.

Obwohl diskursanalytische und insbesondere korpuslinguistische Analysemethoden in der Politikwissenschaft auf dem Vormarsch sind, wissen wir bislang nur wenig über die Dynamiken dieser Diffusion zwischen Fachsprache und politischer Sprache. Wir wissen zwar, dass bekannte Begriffe der Sozialwissenschaften, insbesondere Max Webers Wortschöpfungen, auch im Deutschen Bundestag zitiert werden. Um aber Entstehung und Verbreitung terminologischer Innovationen systematisch untersuchen zu können, entwickeln wir ein dreiteiliges Modell der Diffusion von Termini vom wissenschaftlichen über den politikberatenden in den politischen Diskurs. Wir möchten erstens erkunden, wie sich das Vokabular der politikwissenschaftlichen Subdisziplin „Internationale Beziehungen“ (IB) in einer Umbruchphase von der Welt des Kalten Kriegs zu einer unilateralen, von den USA dominierten Ordnung über ein Vierteljahrhundert hinweg (1976 bis 2000) verändert hat und, zweitens, ob diese Veränderungen auch in die Sprache der Politikberatung und der Politik eingegangen sind.

An der Diffusion neu geprägter oder umdefinierter Termini lässt sich ablesen, inwiefern akademische Diskurse der IB Einfluss auf politische Debatten haben und somit realweltliche Relevanz gewinnen. Dieser Einfluss ist nicht als direkte Übernahme wissenschaftlicher Erkenntnisse oder Handlungsempfehlungen zu denken. Vielmehr geht es um dominante Beschreibungen, Interpretationen und Bezugsrahmen, die determinieren, was in der internationalen Politik als normal, möglich oder erstrebenswert angesehen wird. In diesem breiteren Zugang zur Frage wissenschaftlichen Einflusses auf die Politik liegt eine Innovation unseres Projekts, die es uns auch erlauben wird, zu erkunden, welche Schule der IB dabei mit ihrer spezifischen Begrifflichkeit besonders erfolgreich ist.